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Kritik

Von Kindern und Tieren auf Bühnen II

und in diesem Fall, nur Tiere: Schafe nämlich.

Opferlamm, Wolf im Schafspelz, Herdentrieb, Schwarzes Schaf, Unschuldslamm oder Blöcken, egal was; das Bild passte und traf unerwartet und befremdlich zugleich genau den Kern der Thematik bei der gestrigen Vorstellung von Elfriede JelineksRechnitz (Der Würgeengel)“ in der österreichischen Erst-Inszenierung von Michael Simon am Grazer Schauspielhaus. Schafe! Ruhig und scheinbar teilnahmslos auf der leicht abgedunkelten Bühne umhertretend, stehend, hopsend, am Gezäun knabbernd, bäh (was sonst), mystisch und kraftvoll, rechtzeitig vor Ostern und rechtzeitig gestern in der Nacht vom 24. auf den 25. März (jedoch glücklicherweise nicht vor 67 Jahren und glücklicherweise im gut beheizten Grazer Schauspielhaus sitzend). Man merkt schon, der Realitätsanspruch von Theater wird duch Tiere auf der Bühne unübertroffen. Die spielen nicht, die sind so; wir als Zuseher und Beobachter erkennen: Die Bühne ist keine Illusion, nicht gemacht, nicht einstudiert, nicht anders und das Alles Jetzt. Wir sitzen nicht entfernt und genießen die unsichtbare 4. Wand als Schutz auch vor unserer zusehenden Befangenheit und/oder Belustigung, nein, wir erfassen uns als Teil des Schauspiels, da es keine Grenze mehr gibt zwischen Bühne, dem Stück und uns; so soll es sein – ein Dank dafür!

Danke auch dafür, dass keine plakativen Gemetzel-, Sexual- oder derart durchaus naheliegenden Blitzlichter auftauchten. Danke auch für die intelligenteren Lösungen und Bilder an Stelle dieser. Ein dickes Danke an die feine Textarbeit der geforderten Schauspielerinnen und Schauspieler. Ein noch dickeres Danke an die meiner Meinung gefühlvollste Szene des Abends mit dem grandiosen Stefan Suske und der überzeugende (deutschen – lol) Steffi Krautz für ihre Heranführung an den Kannibalismus – lese auch: „Wir Nachgeborenen haben uns einen Blick auf die NS-Zeit zurechtgelegt, der mehr oder weniger sagt, der Holocaust ist ein bürokratischer und verwaltungstechnischer Akt gewesen. Und die Jelinek sagt, es ist ein dionysischer Rausch gewesen, in dessen Verlauf Menschen gegessen worden sind.

Für Interessierte:

Schau nicht wie die Kuh wenns blitzt!

Auch wenn es nicht die Premiere von Thomas Bernhards „Einfach kompliziert“ mit Gert Voss in einer Inszenierung von Claus Peymann des Berliner Ensembles im Theater am Schiffbauerdamm war, auch wenn es nicht „Ödipus auf Kolonos“ mit Klaus Maria Brandauer – einmal den Brandauer zufällig live sehen … – im selbigen Hause war (beide Vorstellungen waren ohne Murren restlos ausverkauft), mein verlängerter Wochenendausflug nach Berlin brachte mich immerhin in das vom genannten Schauspielhause einen olympischen Steinwurf entfernte Maxim Gorki Theater, wo ich die Premiere von PeterLichts „Der Geizige“ nach Moliere unter der Regie von Jan Bosse genießen durfte. Als Össi ein Genuss in mehrerlei Hinsicht zumal die verwendete Sprache immer wieder in dialektischen Charme und umgangssprachliche Redewendungen (siehe Titel des Posts) rutschte; auch der Hauch von Musical der die nicht immer kurzweiligen 110 Minuten des ganzen Stücks begleitete war sehr erfrischend und passend zugleich; kein Wunder, ist doch PeterLicht eher dem akkustischen Genre zuzuschreiben.

Der Inhalt lässt viel Spielraum: Geiziger Vater, der sein Geld hart erarbeitet hat, denkt weder daran selbiges an seine Nachkommen zu Lebzeiten zu verteilen, noch diese, seine Lebzeit „alt“ zu verbringen „Je älter ich werde, desto unnötiger finde ich, dass ich älter werden; je reicher ich werde, desto unnötiger finde ich, dass ich früher arm war„. So kommt es bei einem inszenierten Familientreffen zur unweigerlichen Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn. Die Kommunikation der Beiden ist gestört; Vater und Sohn reden im „selbstdialogischen Vakuum“ – Danke Bernd – aneinander vorbei. Zum Punkt kommen sie jeder für sich in Rechtfertigungs- und Weltanschauungsmonologen. Diesen hinzugemischt werden einige kleinere und größere Themen unserer Gesellschaft pointiert aufs Tapet der Familientafel gebracht; wie zum Beispiel die Verwei[ch/b]lichung der Menschen durch „sexuell aufgeladenen Klärschlamm„, der als Dünger der Agrarwirtschaft wieder in unsere Körper zurückfindet. Aber auch Ernsteres, wie ein perversiertes Patenschaftstum der Industrieländer für Kinder aus Entwicklungsländern wird gekonnt als immer wiederkehrendes Motiv mit grotesker Kommunikation vor Augen geführt.

Am beeindruckendsten jedoch die Rede des Vaters, hervorragend gespielt von Peter Kurth, der es sich zum Glück auch nicht nehmen ließ, mit dem Publikum zu interagieren. In nachvollziehbar genugtuender Argumentation bleibt er bei seiner Entscheidung und lässt der Jugend keinen finanziellen Raum; im Gegensatz zu seiner eigenen Jugend, der er durch offen ausgesprochenes Begehren nach der Verlobten seines Sohnes Auftrieb verleiht. Der Genuss des Lebens jedoch bleibt ihm in und durch die Realität verwehrt „Warum kann ich mir nicht einmal eine Zahnpasta kaufen und die bleibt dann bei mir„. Die freudlose Wiederholung des Alltags hat ihn zum sarkastischen Machtmenschen geformt, der die Kontrolle nicht aus der Hand gibt. Dies wird durch das kluge Bühnenbild unterstützt, welches den Eindruck eines Spinnennetzes mit dem Vater als fette Spinne im Zentrum desselben erweckt – und alle kleben darin, an ihm fest.

Übrigens, auch das Maxim Gorki Theater spielt heuer noch Kleists Zerbrochenen Krug; und wer Kleist noch ein Stück näher kommen möchte, der kann in Berlin weilend einen Besuch am Grabe Kleists am nahe gelegenen Wannsee nicht abschlagen.

Affentheater

Was machen Sie, gefangen in einer scheinbar ausweglosen Situation, ohne Möglichkeit auf Hilfe, einer fremden Macht und deren Wünschen ausgeliefert? Wiedersetzen oder den Wünschen entsprechen? Warten auf die Chance zum Ausbruch oder gar Selbstaufgabe bis zum letzten Entschluss?

Dieses immer wiederkehrende Grundschicksal lebendiger Wesen, das wir in seiner härtesten Weise aus der Vergangenheit sehr eindringlich mit Entsetzen vielfach kennen und auch gegenwärtig oft unmittelbar erleben müssen, ist aber auch in viele beinah alltägliche Lebenssituationen für das Individuum als auch für die „Gruppe“ transponierbar.  Wo hört die Freiheit der eigenen Wünsche auf, wo beginnt jene des anderen? Wie gehen wir mit Macht um, die uns vermeintlich gegeben ist, der wir plötzlich ausgeliefert sind?

Der Protagonist, Rotpeter, ist im wahrsten Sinn ein solcher, da er sich auf der Suche nach einem Ausweg aus seiner Gefangenschaft aktiv für das Leben entscheidet. Der Preis dafür ist die anfängliche Unterdrückung seiner Natur und die Kraft – die sich später in bewussten Willen umwandelt – aufzubringen, Mensch-Sein zu lernen. Rotpeter ist ein Affe; der Affe in Franz Kafkas „Ein Bericht für eine Akademie“. Die Umwandlung die Rotpeter durchmacht bringt ihm zwar nicht die als Affe gelebte Freiheit zurück, jedoch den Ausweg, um dem es ihm stets (auch als Affe!) gegangen ist. Er beobachtet, imitiert und lernt deshalb zu handeln, wie die Menschen von denen er umgeben ist – was ihm den einen oder anderen Rausch einbringt. Er beginnt sogar in ihrer Sprache zu sprechen und erreicht damit einen menschlichen Status; beinah übermenschlich, da er einen seiner Lehrer in die Nervenanstalt bringt. Auch wenn Rotpeter seinen Bericht mit der Erkenntnis schließt „Im ganzen habe ich jedenfalls erreicht, was ich erreichen wollte.“. bleibt das bedrückende Gefühl der Entfremdung vom Selbst, bei Rotpeter wie auch dem Zuseher.

In der trotz der Thematik immer wieder auch humoresken, feinfühligen Produktion der schaubühneGraz unter der Regie von Christian M. Müller hält uns der Grazer Schauspieler Daniel Doujenis im Kulturzentrum bei den Minoriten (ImCubus) diesen Spiegel der menschlichen Zivilisation vor, und dies von Beginn an.